dbb magazin 7/8 2015 - page 16

Finanzpolitik:
Vom Juliusturm zum Schuldenberg
Was tut man, wenn einem das Dach über dem Kopf zusammenzubrechen droht, aber kein Kredit
für die Sanierung aufgenommen werden kann? Für den Privatmann ein existenzbedrohendes Desaster,
für den Staat ab 2016 Normalität, wenn die Schuldenbremse strenge Kriterien für die Neuverschul-
dung auferlegt. Schuldentilgung ist ein hehres Ziel. Investitionen in die Zukunft sind aber ebenfalls
notwendig. Für Finanzminister ist das aber keine neue Turnübung, wie die Geschichte zeigt.
@Max - Fotolia.com
Sieht man von sprachlichen Ei-
genarten der Zeit ab, könnte
der Disput zwischen dem Kieler
Wirtschaftswissenschaftler
und SPD-Bundestagsabgeord-
neten Fritz Baade und dem
CDU-Finanzminister Fritz
Schäffer, der 1956 leidenschaft-
lich in der „Zeit“ geführt wur-
de, aktueller nicht sein: Kaum
erklimmt der Finanzminister
ein grünes Zweiglein, werden
Begehrlichkeiten wach. Schäf-
fer war von 1949 bis 1957 un-
ter Bundeskanzler Konrad Ade-
nauer im Amt und hatte es als
einziger Finanzminister in der
Geschichte der Bundesrepublik
geschafft, Überschüsse zurück-
zulegen. Rund acht Milliarden
Mark (nach heutigemWert
rund 35 Milliarden Euro) legte
die Bundesrepublik damals auf
die hohe Kante. „Juliusturm“
wurde der Notgroschen damals
spaßhaft genannt. Die Bezeich-
nung geht historisch auf den
Juliusturm der Zitadelle
Spandau in Berlin zurück, in
dem die Finanzminister Kaiser
Wilhelms I. Staatsüberschüsse
sowie übrig gebliebene Repara-
tionszahlungen aus dem Krieg
mit Frankreich 1870/71 einge-
lagert hatten.
Baade warf Schäffer „Hor-
tungspolitik“ vor, weil er die
Steuerüberschüsse quasi zins-
los in die Bank Deutscher Län-
der gelegt habe und forderte
stattdessen Steuerentlastun-
gen und Investitionen der
Überschüsse in die Zukunft der
noch jungen Bundesrepublik.
Steuerüberschüsse seien nicht
produktiv und müssten vermie-
den werden, so das Argument.
In seiner Entgegnung schrieb
Schäffer in der „Zei“t vom
19. Januar 1956: „Ein Märchen
ist es, wenn der Professor, der
gleichzeitig Politiker ist, von der
angeblichen Hortungspolitik
des Bundesfinanzministers re-
det. Die Wirklichkeit sieht lei-
der anders aus. Die Wirklichkeit
ist die, daß es einen ,Julius-
Turm’ gar nicht gibt, und daß
nicht Überschüsse aus Steuer-
zahlungen in einen Turm gelegt
werden, um dann nach Jahr-
zehnten im Ernstfall verbraucht
zu werden. Die Wirklichkeit ist
die, daß bestimmte Aus-
gaben, die in naher Zeit
und zu einem schon
feststehenden Zeitpunkt
gemacht werden müs-
sen, ohne eine Gefähr-
dung der deutschen Volks-
wirtschaft und ohne die Gefahr
einer Steuererhöhung geleistet
werden sollen oder, um es ganz
einfach zu sagen, daß sie der
Erfüllung von Verpflichtungen
dienen sollen, die fällige Schul-
den darstellen.“
Zwei auch heute noch vertre-
tene Positionen – wenn auch
unter anderen Vorzeichen.
Nach Berechnungen des Statis-
tischen Bundesamtes waren
Bund, Länder und Gemeinden/
Gemeindeverbände einschließ-
lich aller Kern- und Extrahaus-
halte in Deutschland zum Ende
des dritten Quartals 2014 mit
2 044,2 Milliarden Euro ver-
schuldet. Der Schuldenstand
blieb damit nahezu unverän-
dert gegenüber dem Ende des
zweiten Quartals 2014 (plus
0,0 Prozent beziehungsweise
plus 53 Millionen Euro).
<<
Stetig steigende
Schuldenlast
Staatsschulden haben eine
lange Tradition, denn seit 1962
kam es mit Ausnahme von
1989 in jedem Jahr zu einer
Nettoneuverschuldung des
Bundes. Lediglich von 1950 bis
1961 war in acht Jahren eine
Nettotilgung der Bundesschuld
möglich. Entsprechend dem zu-
nehmenden Schuldenstand
sind auch die Zinslasten über
Jahrzehnte gewachsen. Die
Zinslastquote, also die Zinsaus-
gaben in Prozent der staatli-
chen Gesamtausgaben, lag für
den Bund im Jahr 2001 bei
16,2 Prozent und in einigen
Bundesländern deutlich darü-
ber. Gemessen am Bruttoin-
landsprodukt (BIP) liegt die
Zinslastquote etwa bei drei
Prozent. Die deutliche Senkung
des Leitzinses in der Eurozone
auf ein historisch niedriges
Niveau von 0,05 Prozent sowie
die große Nachfrage nach den
als sichere Anlage geltenden
Bundesanleihen hat in den ver-
gangenen Jahren die Zinsen
von Neuemissionen deutlich
gesenkt, weshalb auch die Zins-
last insgesamt rückläufig ist.
Für Neuemissionen von Staats-
anleihen ein- und zweijähriger
Laufzeit kann Deutschland da-
her bereits negative Zinsen ver-
langen.
Erstmals im Jahr 2013 sank der
Schuldenstand in Deutschland
bei einer rückläufigen deut-
schen Staatsschuldenquote
von 81,0 Prozent auf 78,4 Pro-
zent des BIP. Der Internationale
Währungsfonds geht in seiner
Prognose von April 2014 davon
aus, dass die Staatsschulden-
quote bis zum Jahr 2019 auf
58,7 Prozent zurückgehen wird
– Deutschland würde demnach
im Jahr 2019 das Maastricht-
<<
Die Zitadelle Spandau mit Juliusturm in Berlin.
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