dbb Bildungsgewerkschaften

Scharfe Kritik an Empfehlungen gegen Lehrkräftemangel

Die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz (KMK) hat am 27. Januar 2023 ihre Empfehlungen zum Umgang mit dem akuten Lehrkräftemangel vorgelegt. Von den Bildungsgewerkschaften im dbb gibt es daran scharfe Kritik.

„Dass die erste Empfehlung ausgerechnet die Erhöhung des Drucks auf die im Dienst befindlichen Lehrkräfte ist, ignoriert nicht nur die bestehende Überlast, sondern wird umgekehrt zu mehr statt weniger Unterrichtsausfall führen, weil immer mehr Kolleginnen und Kollegen einfach nicht mehr können“, so die Bundesvorsitzende des Deutsche Philologenverbands (DPhV) Susanne Lin-Klitzing. „Dass dann gleichzeitig den Lehrkräften eMental-Health-Angebote als Maßnahmen zur Gesundheitsförderung empfohlen werden, ist schon fast ein Hohn.“ Darüber hinaus fehle eine grundsätzliche Aufgabenkritik mit Blick auf die vielen Herausforderungen des Lehrkräfteberufs komplett. Dies sei jedoch dringend nötig. Es könne nicht sein, dass Lehrkräfte weiterhin ihre Zeit in die Organisation von Klassenfahrten und deren Abrechnung stecken, statt sich qualifiziert auf Unterricht vorzubereiten. Eine Konzentration auf das Kerngeschäft Unterricht sei für die Lehrkräfte mehr als an der Zeit. Lin-Klitzing weiter: „Die Kultusministerinnen und -minister der Länder werden für das herkömmliche Aufgabenspektrum nicht genügend Lehrkräfte finden und Eltern und Kindern sagen müssen, dass sie immer wieder über einen längeren Zeitraum mit temporärem Unterrichtsfall rechnen müssen, der je nach Region und Schulart unterschiedlich stark sein wird.“ Dass dies im Wesentlichen auf eine kurzsichtige Ausbildungs- und verfehlte Einstellungspolitik der vergangenen Jahre zurückzuführen sei, dürfe dabei nicht verschwiegen werden. Aus diesen Fehlern der Vergangenheit müsse die Politik lernen und endlich zu einer höheren Unterrichtsabdeckung mit einer kontinuierlichen und planvollen Lehrkräfte-Einstellungspolitik kommen.

Gerhard Brand, der Bundesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), fand zu den Empfehlungen ebenfalls deutliche Worte: „Das ist ein Offenbarungseid der Bildungspolitik. Allen, die mit in der Hoffnung auf Besserung seit Monaten und Jahren bis an die Grenzen der Belastbarkeit und darüber hinaus arbeiten, wird jede Vision geraubt. Es wird nicht besser, es wird nur immer schlimmer. Größere Klassen, mehr unterrichten, länger unterrichten, an andere Orte abgeordnet werden: So stellt sich die KMK die Lösung des Lehrkräftemangels vor. Mit diesen Maßnahmen wird das Versagen der Politik auf dem Rücken der Lehrkräfte ausgetragen. Dem erteilen wir eine klare Absage.“ Die SWK lege zwar auch Maßnahmen zur Entlastung vor, der VBE sei aber sehr skeptisch, inwieweit diese umgesetzt werden. „Es ist ja nicht so, als wäre die SWK die erste Institution, welche Verwaltungsfachkräfte für Schulen fordert. Mit unseren repräsentativen Schulleitungsbefragungen zeigen wir seit 2018, dass drei Viertel der Schulleitungen sich zusätzliches Personal zum Beispiel im Schulsekretariat wünscht. Das sind keine neuen Erkenntnisse. Wenn das gewollt werden würden, gäbe es hier längst Abhilfe. Wir werden das SWK-Gutachten nicht wohlwollend betrachten, denn wir wissen, wie es in der Realität laufen wird: Die Belastungen für Lehrkräfte werden hingenommen, die Entlastungen können nicht umgesetzt werden. Statt das Berufsfeld endlich attraktiver zu gestalten, werden die Bedingungen zuungunsten der Beschäftigten verändert.“

Für den Bundesvorsitzenden des Verbands Deutscher Realschullehrer (VDR), Jürgen Böhm, sind die SWK-Empfehlungen „eine Mischung aus Panikreaktion und Unvernunft“. Er machte außerdem deutlich: „Wer jetzt Flexibilität einschränkt und Teilzeitlösungen kappen möchte, wer jetzt die Ausbildungsqualität für Lehrkräfte absenken möchte, wer jetzt den Druck auf ältere Lehrkräfte erhöht, wird genau das Gegenteil erreichen.“ Junge Menschen, die vor ihrer Berufswahl stehen, würden den Beruf des Lehrers nicht mehr attraktiv finden. Vor allem die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei nicht mehr gewährleistet, wenn Eltern im Lehrberuf ihr Stundenmaß nicht mehr der Machbarkeit anpassen könnten. Auch eine Arbeitszeitverlängerung für ältere Lehrkräfte oder eine Einschränkung der Möglichkeit der Altersteilzeit sei keine Lösung.  Vielmehr sollte man die Lehrkräfte wieder verstärkt mit den wesentlichen Aufgaben und dem Kerngeschäft Unterricht betrauen und von in den letzten Jahren hinzugekommenen zusätzlichen Verpflichtungen entbinden. „Durch Vorschläge, wie sie die Ständige Wissenschaftliche Kommission in den Raum wirft, wird eine Spirale nach unten in Gang gesetzt, die niemand mehr aufhalten kann und die Situation nur verschlimmert“, so Böhm.

 

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