Konferenz der europäischen Sozialpartner
„Öffentliche Dienste krank gespart“
Am 14. und 15. März fand in Berlin die Abschlusskonferenz einer Reihe von Tagungen der europäischen Sozialpartner für die zentralen Verwaltungsbehörden zum Thema psychosoziale Risiken statt. Für den dbb nahm die Bundesgeschäftsführerin der Gewerkschaft der Sozialversicherung (GdS), Siglinde Hasse, teil. „Wir haben eine ganze Reihe bekannter wie auch neuer Stressfaktoren identifiziert, die Gesundheitsrisiken für unsere Kolleginnen und Kollegen darstellen“, sagte Hasse, die auch Vizepräsidentin der Kommission für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten der Europäischen Union der Unabhängigen Gewerkschaften (CESI) ist. „Wir sollten es nicht bei dieser erfolgreichen Konferenzreihe belassen, müssen jetzt mit den Ergebnissen arbeiten“, fordert Hasse. Die wichtigste Ursache für eine europaweit festzustellende Zunahme berufsbedingter seelischer Erkrankungen liege aber nicht in der Digitalisierung oder in der Organisation der Verwaltung. „Die öffentlichen Dienste sind in vielen EU-Staaten krank gespart worden“, so Hasse.
Siglinde Hasse begrüßt das Vorhaben der europäischen Sozialpartner, psychosoziale Risiken zu analysieren und Empfehlungen zu deren Reduzierung zu entwickeln. „CESI und dbb würden es sehr begrüßen, wenn wir hier zu einer Rahmenvereinbarung auf europäischer Ebene kämen, die gemeinsame Mindeststandards definiert.“ So könne zum Beispiel festgelegt werden, dass Beschäftigte mit Bürgerkontakt niemals allein sein dürfen, Kollegen über einen Alarmknopf verständigen können. „Ein weiteres Beispiel ist mit Blick auf die Digitalisierung das Recht, in der Freizeit nicht erreichbar zu sein. Wer nicht Rufbereitschaft hat, für die es klare sozialpartnerschaftliche Regeln geben muss, muss auch das Recht haben, Emails nicht zu lesen und nicht ansprechbar zu sein“, zeigt sich Hasse überzeugt. „Die Erfahrungen aus den nationalen Verwaltungen im europäischen sozialen Dialog zusammenzubringen und die besten, bewährten Praktiken herauszufinden, bedeutet einen echten Mehrwert.“
Für den vielerorts zunehmenden Stress gebe es aber eine Ursache, die aus Hasses Sicht in der Konferenzreihe zu wenig zur Sprache kam. „Wenn die Beschäftigten vor allem über zu großen Zeitdruck und zu hohe Arbeitsdichte klagen, wenn dies auch zu Spannungen unter den Kolleginnen und Kollegen führt, zu vermehrten Konflikten auch mit frustrierten Bürgerinnen und Bürgern, dann gibt es dafür vor allem einen Grund: die seit vielen Jahren in Europa herrschende Sparpolitik.“ Das im europäischen Jargon auch Austeritätspolitik genannte Sparen habe vor allem die öffentlichen Dienste und die dort beschäftigten Menschen betroffen. „Wenn immer mehr Aufgaben mit immer weniger Personal und auch mit unzureichender materieller Ausstattung bewältigt werden sollen, ist dies ein psychosozialer Risikofaktor erster Güte.“ Die meisten weiteren Stressfaktoren ließen sich daraus ableiten. „Wir brauchen also nicht nur gute Verfahren und feste Regeln für die Organisationskultur, Arbeitsabläufe und den Umgang mit den neuen Technologien. Wir brauchen vor allem die Einsicht der Politik, dass der öffentliche Dienst ein stabilisierender Faktor für die Gesellschaft ist, den man nicht auspressen kann wie eine Zitrone. Viele europäische Regierungen haben ihre öffentlichen Dienste regelrecht krank gespart“, kritisiert Hasse.