Wahlrecht für Jugendliche
Debatte: Welches Alter ist angemessen?
Die Debatte ums Wahlalter ist seit Jahren ein Dauerbrenner, Argumente gibt es viele. Ein Überblick.
Ein Wahlrecht ab Geburt – mit dieser Forderung hat der Deutsche Familienverband (DFV) bereits zur Bundestagswahl 2017 eine Kampagne gestartet und für Aufmerksamkeit gesorgt. Zu den Unterstützern zählen prominente Gesichter, unter anderem Wolfgang Thierse, der ehemalige Bundestagspräsident. Doch ohne Altersbeschränkung wählen – der eine oder andere mag da skeptisch sein. „Die Altersgrenze von 18 Jahren ist künstlich gesetzt“, sagt Sebastian Heimann, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Familienverbands, auf Anfrage des dbb magazins. Er verweist darauf, dass in der jungen Bundesrepublik eine Altersgrenze von 21 galt – das Wahlrecht ab 18 Jahren ist das Ergebnis einer Grundgesetzänderung im Jahr 1970. Hinzu komme, dass junge Menschen in manchen Bundesländern bereits ab 16 Jahren das Landesparlament wählen dürfen. „Kurzum, es gibt kein Naturgesetz, das eine Altersgrenze setzt.“
In der Debatte ist jedoch von vielen möglichen Altersgrenzen die Rede. Da gibt es die einen, die ein Wahlrecht ab 14 fordern, weil junge Menschen ab dann straf- und religionsmündig sind, heißt es. Andere, die ein Wahlalter ab 16 befürworten, argumentieren: Mit 16 zahlen viele Jugendliche, die mit einer Ausbildung ins Berufsleben starten, Steuern. Es sei nur fair, wenn sie über die Verwendung der Steuergelder mitentscheiden dürften. Und dann gibt es wiederum diejenigen, die nicht am Wahlalter ab 18 rütteln wollen. Ihre Begründung: Das Wahlrecht müsse mit der Volljährigkeit einhergehen. Einerseits wählen, andererseits Verträge von Mama und Papa unterzeichnen lassen, das passe schlichtweg nicht zusammen. Abgesehen davon sei es nicht sinnvoll, das aktive und passive Wahlrecht voneinander zu trennen. Es scheint, als hätten die Befürworter und Gegner einer Absenkung des Wahlalters immer überzeugende Argumente auf ihrer Seite.
14 Millionen Ausgeschlossene
Doch zurück zum Wahlrecht ab Geburt. Denn auch hier fallen Argumente, um ein grenzenloses Wahlalter zu rechtfertigen: „Ohne das Wahlrecht ab Geburt werden über 14 Millionen Bürgerinnen und Bürger von Bundestagswahlen ausgeschlossen“, unterstreicht DFV-Bundesgeschäftsführer Heimann. Für die Demokratie bedeute das ein erhebliches Repräsentationsdefizit – dabei steht im Grundgesetz (Art. 20), dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. „Zum Volk gehören auch Kinder und Jugendliche.“
Zentral für den Deutschen Familienverband ist, dass Kinder und Jugendliche am längsten von den Entscheidungen der Politik betroffen sind. Weil sie kein Stimmrecht haben, bleibe die Vertretung der Interessen junger Menschen allein vom guten Willen abhängig. Heimann: „Mit einem Wahlrecht ab Geburt müsste sich die Politik intensiv mit den berechtigten Interessen von Minderjährigen und ihren Familien auseinandersetzen.“
Aber sollen nun Zweijährige in der Wahlkabine ihr Kreuzchen setzen? „Natürlich kann ein Baby nicht wählen gehen“, sagt Heimann. Das Wahlrecht ab Geburt beinhalte, dass Eltern das Wahlrecht ihrer Kinder stellvertretend zu ihrem Wohle wahrnehmen, bis die Kinder selbst die Wahlmündigkeit erreichen. Dass die Stimmen junger Menschen zu wenig Gewicht haben, dazu hat sich inzwischen sogar der Bundespräsident geäußert: „Wir stehen vor einer gewaltigen demografischen Verschiebung, bei der der Stimmanteil der Älteren erheblich wächst“, sagte Frank-Walter Steinmeier im vergangenen Mai im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. „In einer solchen Situation halte ich es nicht nur für notwendig, sondern für geboten, darüber nachzudenken, ob wir das Gewicht der Jüngeren durch eine Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre auch bei Bundestagswahlen ausgleichen.“
Die Dominanz der Älteren
Tatsächlich ist es so, dass ältere Menschen einen immer höheren Anteil der Wahlberechtigten stellen: 1983, als Helmut Kohl für die CDU als Kanzlerkandidat antrat, stellten die über 59-Jährigen laut Statistischem Bundesamt einen Anteil von 27,8 Prozent. Als Angela Merkel 2005 Gerhard Schröder im Kanzleramt ablöste, waren es 32,4 Prozent – und zuletzt, als Olaf Scholz 2021 die Kanzlerschaft übernahm, waren 38,8 Prozent der Wahlberechtigten 60 oder älter. Nun könnte man fragen: Wo ist das Problem? Demokratie beruht schließlich auf Mehrheiten. Und wenn die ältere Generation die Mehrheit stellt, dann müssen Wahlergebnisse eben auch ihre Interessen stärker widerspiegeln. Oder?
So simpel ist es dann noch nicht. Jemand, der sich in Sachen Demokratie- und Wahlforschung auskennt, ist Thorsten Faas, Professor für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Er verweist darauf, dass das deutsche Wahlrecht laut Grundgesetz gleich und allgemein ist. Heißt: Demokratische Mehrheiten basieren auch darauf, dass im Idealfall möglichst viele Menschen mit demselben Stimmgewicht an der Mehrheitsentscheidung teilhaben. „Natürlich beruht Demokratie auf Mehrheitsentscheidungen“, resümiert der Wissenschaftler. „Aber das steht nicht im Widerspruch zur Diskussion über Wahlaltersgrenzen, weil sie eben auch die Aspekte von Gleichheit und Allgemeinheit berührt.“
Demokratie entscheidet
Um das Wahlalter abzusenken, müssten laut Grundgesetz jeweils mindestens zwei Drittel der Abgeordneten in Bundestag und Bundesrat zustimmen. „Letztlich ist das, nüchtern betrachtet, eine Frage von Mehrheiten“, sagt Faas. In sechs Bundesländern, darunter Baden-Württemberg, Brandenburg und Bremen, dürfen junge Menschen ab 16 Jahren an Landtagswahlen teilnehmen. In Österreich können 16-Jährige auch auf Bundesebene an den Nationalratswahlen teilnehmen – und das bereits seit 2007. Bemerkenswert ist, dass damit nicht unbedingt eine höhere Wahlbeteiligung einhergeht: In Deutschland war sie bei der vergangenen Bundestagswahl etwas höher als bei der österreichischen Nationalratswahl. Faas: „Im Vergleich ist die Wahlbeteiligungsquote bei jungen Menschen niedriger. Insofern steigt zwar die absolute Zahl der abgegebenen Stimmen, die Wahlbeteiligungsquote hingegen geht zurück.“ Allerdings geht aus Studien hervor, dass die Wahlbeteiligung bei den 16- und 17-Jährigen höher ist als in der Gruppe der 18- bis 20-Jährigen, erklärt der Professor. „Unterm Strich ist es also schon so, dass eine Herabsetzung des Wahlalters den Stimmen junger Menschen etwas mehr Gewicht verleiht.
Aber was wählen die jungen Menschen? Ist an der Befürchtung, dass sie eher zu extremistischen Parteien neigen, etwas dran, wie es manche Gegner einer Herabsetzung des Wahlalters behaupten? „Nein, das lässt sich empirisch nicht belegen“, sagt Thorsten Faas. Gewiss sei es so, dass junge Menschen in ihrem Wahlverhalten noch nicht gefestigt sind. Aber zu den Parteien an den Rändern des politischen Spektrums würden eher Menschen im Alter zwischen 40 und 60 Jahren neigen, die auf dem Arbeitsmarkt mit Schwierigkeiten konfrontiert sind.
Wie sich die Debatte ums Wahlalter entwickeln wird, bleibt abzuwarten. In Baden-Württemberg jedenfalls dürfte sie in der laufenden Legislaturperiode eine neue Qualität erreichen: Laut Koalitionsvertrag will die grün-schwarze Landesregierung bei Kommunalwahlen das passive Wahlalter auf 16 Jahre absenken. Wenn es dazu kommt, könnten in Deutschland erstmals Minderjährige in kommunalen Gremien sitzen und Entscheidungen treffen. Auch auf Bundesebene könnte sich noch etwas tun – denn im Koalitionsvertrag der Ampelparteien steht folgende Absichtserklärung: „Wir wollen das Grundgesetz ändern, um das aktive Wahlalter für die Wahl zum Deutschen Bundestag auf 16 Jahre zu senken.“ Im November 2022 hat der Bundestag bereits das Wahlrecht ab 16 Jahren für die Europawahl beschlossen. cdi