Dauderstädt: Mit Grundrechten nicht leichtfertig spielen

„Das ‚Gesetz zur Regelung der Tarifeinheit‘ will ein Problem lösen, das es gar nicht gibt. Es muss befürchtet werden, dass es letztlich sogar Probleme schafft, die es bisher noch gar nicht gegeben hat.“ Zu diesem Schluss kommt der dbb Bundesvorsitzende Klaus Dauderstädt in einem Gastbeitrag für die „Ostthüringer Zeitung“ (Ausgabe vom 3. November 2014) zum Gesetzentwurf des Bundesarbeitsministeriums.

Dauderstädt erinnert daran, dass in Deutschland das Streikrecht ein Grundrecht (Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz) ist und schreibt: „Von diesem Grundrecht wird traditionell jedoch sehr zurückhaltend gebraucht gemacht. Das gilt auch für die zurückliegenden Jahre seit 2010, als das Bundesarbeitsgericht erstmals verschiedene Tarifverträge unterschiedlicher Gewerkschaften beim gleichen Arbeitgeber (Tarifpluralität) für grundgesetzkonform und die tarifpolitische Realität für zulässig erklärte. Auch im internationalen Vergleich war und ist Deutschland streikarm. Das gilt besonders für die sensiblen Bereiche der Daseinsvorsorge.“

Tarifpluralität stelle letztlich „sogar eine Notwendigkeit dar. Die Beschäftigten wollen und müssen die Wahl haben, wie und von wem sie ihre Interessen vertreten sehen wollen. Branchen- und Fachgewerkschaftsprinzip stehen hier gleichberechtigt nebeneinander. Davon ist im Gesetzentwurf leider nicht die Rede. Der Entwurf verzichtet übrigens auch darauf, konkrete Beispiele zu nennen, die eine Fehlfunktion durch Tarifpluralität belegen. Stattdessen tauscht er den Begriff der Tarifpluralität durch das negative Wort von der Tarifkollision aus. Aber selbst zum Begriff der Kollision lässt sich sagen, dass diese zu einem demokratischen System dazu gehört – im Parlament genauso, wie im Arbeitsleben“, so der dbb Chef weiter.

Dauderstädt bekräftigt die Ablehnung des dbb: „Entgegen der Zusage von Bundesarbeitsministerin Nahles würde mit dem Gesetz erreicht, die Streikrechte der Arbeitnehmer massiv einzuschränken. Tarifpluralität würde faktisch abgeschafft, Grundrechte würden eingeschränkt. Denn der kleineren Gewerkschaft würde das jetzt zustehende Recht genommen, eigene Tarifpartnerschaft im Arbeitskampf durchzusetzen. Das ist umso schlimmer, als es vielfältige Beispiele gibt, bei denen sich konkurrierende Gewerkschaften freiwillig und tarifautonom zu einer Zusammenarbeit bei Tarifverhandlungen zusammenfinden. Mit dem Versuch, nur noch die im Betrieb jeweils stärkste Gewerkschaft als Tarifpartner zu akzeptieren, würden diese positiven Beispiele bedroht.“

Auch handwerkliche Mängel des Entwurfs kritisiert der dbb Bundesvorsitzende, bevor er zu dem Fazit gelangt: „Netterweise sieht der Entwurf vor, dass der Bundestag im Jahre 2020 prüft, wie sich das Gesetz ausgewirkt hat. Es könnte sein, dass es bis dahin der Tarifpluralität weitgehend den Garaus gemacht hat, einige Gewerkschaften verschwunden sein werden und zugleich andere Gewerkschaften, weil sie mit diesem Gesetzesvorhaben gleichsam zu einem verlängerten Arm der Bundesregierung gemacht werden, an extremen Legitimitätsproblemen leiden; es könnte aber auch sein, dass zwischen den Gewerkschaften Auseinandersetzungen um betriebliche Mehrheiten andauern und sich die Allgemeinheit den Status quo aus der Zeit vor diesem Gesetzesprojekt zurückwünscht. So baut man zunächst auf das Demokratieverständnis der Abgeordneten, diesem Vorhaben gar nicht erst zuzustimmen. Falls doch, bleiben noch die Wächter des Grundgesetzes: die Verfassungsrichter in Karlsruhe. Hier wird ein Tarifeinheitsgesetz eine Beerdigung erster Klasse erfahren, die allen Abgeordneten vor Augen führt, dass man mit unseren Grundrechten nicht leichtfertig spielen darf.“

 

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